Schwerpunktthema

Die 4-Tage-Woche: Motivationsbooster oder Mogelpackung? Erfahrungen aus der Praxis

Heizungs- und Lüftungsbauer Rocco Funke ist davon überzeugt, dass reduzierte Arbeitszeiten gesund und motiviert halten. Die Arbeitsmenge einfach von 5 auf 4 Tage zu verteilen reicht nicht: Er hat alle Prozesse in seinem Betrieb neu geordnet. Auch für die Firma Reuse Haustechnik ist die 4-Tage-Woche ein Erfolgsmodell. Lesen Sie hier, wie die beiden Handwerksbetriebe die Umstellung geschafft haben, was es zu beachten gibt und was Wissenschaftler zur 4-Tage-Woche sagen.
Dr. Robert Kaufmann

Robert Kaufmann

17.03.2025 · 6 Min Lesezeit

Beispiel 1: Leckortungs- und Bautrocknungs- unternehmen Rocco Funke, 5 Mitarbeiter

Der Gedanke, die 4-Tage-Woche einzuführen, kam Rocco Funke spontan: An einem Tag waren seine Mitarbeiter nach 5 Stunden auf der Baustelle fertig. Ursprünglich hatte er für den Auftrag 1,5 Arbeitstage eingeplant. Er gab ihnen frei und besorgte Familienkarten für das Schwimmbad. Nach dem verlängerten Wochenende wünschte sich sein Team, dass das jede Woche möglich ist. Zudem hatte sich sein eigener Fokus durch die Geburt seines jüngsten Sohns verändert: Er wollte besser auf seine Gesundheit achten und mehr Zeit mit der Familie verbringen.

32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich: Die Umstellung war mühsam

Im Juni 2021 führte Funke die 4-Tage-Woche für seine Mitarbeiter ein, er selbst arbeitet an 5 Tagen. Ihm war klar, dass es nicht damit getan ist, das Arbeitspensum von 5 Tagen in 4 hineinzupressen. Also absolvierte er Seminare für Führungskräfte, nahm an einem Programm zur Fachkräftesicherung teil und führte viele Gespräche mit der Handwerkskammer Erfurt. Er stellte die Unternehmensführung um, optimierte mit seinem Team die Prozesse sowie das Lager und digitalisierte den Betrieb mithilfe eines EDV-Spezialisten. Anfangs waren die Mitarbeiter wenig begeistert davon. Das wurde in Supervisionen bearbeitet. 30–40 Tage Schulungen waren nötig, um den Betrieb dahin zu bringen, wo er heute steht.

Ein neues Miteinander

Zur neuen Unternehmenskultur gehören tägliche Besprechungen, in denen das Team die Aufgaben untereinander verteilt. Funke hält sich aus vielem raus. Seine Mitarbeiter und er suchen kontinuierlich nach Optimierungsmöglichkeiten, wie die Arbeit noch besser laufen kann. Freitags arbeitet Funke die Ideen durch, am nächsten Montag werden sie gemeinsam besprochen. So zeigt er seinen Mitarbeitern, wie sehr er es schätzt, dass alle mitdenken.

Die positiven Auswirkungen der Umstellung sind beachtlich – negative gibt es nicht

  • Funkes anfangs so skeptisches Team sagt inzwischen, dass es sich wohler, gesünder und widerstandsfähiger fühlt.
  • Die positive Entwicklung der Fehltage bestätigt dies: Seit der Umstellung gab es keine einzige Krankschreibung mehr.
  • Auch Funke selbst ist fit, sein Stresslevel viel niedriger als zuvor.
  • Alle sind motivierter und haben mehr Spaß an der Arbeit.
  • Der Betrieb macht seither 50 % mehr Umsatz.
  • Die Mitarbeiter verdienen mehr als früher.
  • Funke hat keine Probleme mehr damit, Stellen zu besetzen.

Beispiel 2: Reuse Haustechnik, 40 Angestellte

Auslöser für die Umstellung auf die 4-Tage-Woche war 2021 der Unmut der Belegschaft über die unterschiedlichen Arbeitszeiten für die Beschäftigten in Büro und Planung sowie für die Handwerker. Das Thema kam bei einer Betriebsversammlung zur Sprache. Dann begannen monatelange Überlegungen, wie das Problem gelöst werden könnte. Alle Mitarbeiter durften sich mit Wünschen, Vorschlägen und Anregungen einbringen. 3 Teams erarbeiteten mit der Geschäftsführung unterschiedliche Modelle. Ziel war es, die Mitarbeiter gleich zu behandeln und ihnen wegen der körperlichen Belastung längere Entspannungsphasen zu ermöglichen. Mehrmals wurde unter den Beschäftigten abgestimmt und an den Ideen gefeilt, bis alle zufrieden waren. So zeichnete sich die 4-Tage-Woche als Lösung ab. Sie stieß nicht von Anfang an bei allen auf Gegenliebe, fand jedoch die meiste Zustimmung.

Das 4-Tage-Modell bei Reuse: Nicht kürzer, aber dennoch anders arbeiten

Weiterhin arbeiten jetzt alle 37 Wochenstunden, aber an 4 statt an 5 Tagen, die tägliche Arbeitszeit beträgt 9,25 Stunden. An den freien Freitagen stehen Notfalltechniker bereit, ebenso wie samstags und sonntags. Wenn es sein muss, wird selbstverständlich auch freitags gearbeitet. Da sich die Arbeitstage verringern, verzichtet die Belegschaft auf 6 Tage Urlaub, hat nun 24 statt 30 Tage frei. Der Clou dabei: Auch wenn die Zahl der Urlaubstage gesunken ist, bleibt die der Urlaubswochen gleich. Weil nicht weniger gearbeitet wird, bleiben auch die Gehälter gleich. Das Arbeitszeitmodell gilt für alle – auch für die Geschäftsführung.

3-monatiger Praxistest bestanden: Endgültige Umstellung im Juli 2022

Nach 3 Monaten Probephase stand fest: 36 der 40 Mitarbeiter sind mit dem neuen Modell zufrieden, fühlen sich erholter. Auch von den Kunden gab es eine überwiegend positive Resonanz, da die Mitarbeiter nun täglich länger für sie da waren und die Baustellen in weniger Tagen abgearbeitet werden konnten. Vor allem aber wurde das Ziel, mehr Gerechtigkeit und Fairness in den unterschiedlichen Arbeitsbereichen zu schaffen, erreicht. Alle Arbeitsverträge wurden in einem recht aufwendigen Verfahren mithilfe der Beratung durch einen Rechtsanwalt auf die 4-Tage-Woche umgestellt.

Die Geschäftsführung zieht eine positive Bilanz

„Der Mut, sich mit diesem sensiblen Thema auseinanderzusetzen, hat sich für unseren Betrieb eindeutig gelohnt. Denn für mich ist es ein Gewinn, wenn die Angestellten erholter aus dem Wochenende kommen“, sagt Geschäftsführer Stephan Rech. Und auch er persönlich hat einen Zugewinn: mehr Lebensqualität, bessere Erholung und mehr Zeit für private Dinge.

Arbeitgeber müssen bei der 4-Tage-Woche einige arbeitsrechtliche Aspekte beachten

Im Zusammenhang mit der Einführung einer 4-Tage-Woche kommen häufig diese Fragen auf:

Wie wird eine 4-Tage-Woche vereinbart?

Grundsätzlich kann ein Arbeitgeber bestimmen, wie die Arbeitszeiten in seinem Betrieb verteilt werden, sofern vertraglich nichts anderes vereinbart wurde. Selbstverständlich kann er die 4-Tage-Woche auch gemeinsam mit seinen Mitarbeitern aushandeln und konkret fixieren. Meist wird eins der folgenden Modelle genutzt:

  • 4 Tage arbeiten bei gleichbleibender Wochenarbeitszeit,
  • 4 Tage arbeiten bei reduzierter Wochenarbeitszeit und angepasstem Lohn
  • 4 Tage arbeiten bei reduzierter Wochenarbeitszeit, aber gleichbleibendem Lohn.

Bei tarifgebundenen Unternehmen muss der Betrieb zunächst prüfen, ob tarifvertragliche Regelungen eine solche Vereinbarung möglicherweise untersagen. Da Tarifverträge meist auch auf Arbeitnehmer angewendet werden, die nicht Mitglied der Gewerkschaft sind, sollten diese in jedem Fall vorher überprüft werden, wenn eine 4-Tage-Woche vereinbart werden soll.

Wie lang darf die tägliche Arbeitszeit maximal sein?

Die Arbeitszeiten regelt das Arbeitszeitgesetz (ArbZG). Es dient dem Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer, weil es neben der maximalen täglichen Arbeitszeit die Pausen und Ruhezeiten festlegt.

Das Arbeitszeitgesetz schafft auch die Rahmenbedingungen für flexible Arbeitszeiten:

  • Die tägliche Arbeitszeit darf nach § 3 ArbZG pro Werktag auf bis zu 10 Stunden verlängert werden, wenn sie innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt 8 Stunden täglich nicht überschritten werden. Bei einer 4-Tage-Woche ist eine tägliche Arbeitszeit von 10 Stunden demnach problemlos möglich.
  • Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1a ArbZG kann in einem Tarifvertrag oder aufgrund eines Tarifvertrages in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung die Arbeitszeit auf über 10 Stunden täglich zugelassen werden. Dies ist aber nur zulässig, wenn in die Arbeitszeit eine Arbeitsbereitschaft oder ein Bereitschaftsdienst fällt.
  • Ausgenommen sind Jugendliche, da deren tägliche Arbeitszeit 8 Stunden nicht übersteigen darf.
  • Schwangere und Stillende dürfen nicht länger als 8,5 Stunden am Tag beschäftigt werden.

Was gilt für Pausen?

In § 4 ArbZG sind folgende Ruhepausen vorgeschrieben:

  • 30 Minuten Pause bei einer Arbeitszeit von mehr als 6 bis 9 Stunden.
  • 45 Minuten Pause bei einer Arbeitszeit von mehr als 9 Stunden insgesamt.
  • Ruhepausen können in Zeitabschnitte von jeweils mindestens 15 Minuten aufgeteilt werden.

Ein Arbeitgeber darf seine Mitarbeiter demnach nicht länger als 6 Stunden am Stück ohne Ruhepause beschäftigen.

Die Effekte der 4-Tage-Woche sind umstritten

Eine britische Studie zeigte eine deutliche Senkung von Stress, Krankheiten, Ängsten und Müdigkeit bei den Beschäftigten. Die Arbeitskräfte fühlten sich ihrem Unternehmen mehr verbunden und konnten Arbeit, Familie und Sozialleben besser unter einen Hut bringen. Wissenschaftler sehen die Studienergebnisse allerdings skeptisch, so auch der Stressforscher und Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin Andreas Hillert: „Es gibt keine fundierte Studie, die langfristig belegt, dass Menschen gesünder sind, wenn sie nur 4 Tage arbeiten.“

Der Deutsche Gewerkschaftsbund warnt vor einer „Mogelpackung“

Laut DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel müsse zunächst geklärt sein, was genau mit einer 4-Tage-Woche gemeint sei. „Wenn bei vollem Lohnausgleich nur 4 Tage gearbeitet wird und sich dabei die Arbeitsbelastung nicht erhöht, kann das im Idealfall zu mehr Arbeitszufriedenheit und höherer Produktivität führen.“ Sie warnt aber vor einer „Mogelpackung“, wenn das gleiche Arbeitspensum auf weniger Tage verteilt würde und die Beschäftigten dadurch noch stärker im Hamsterrad des Arbeitsalltags wären als zuvor.

Fazit

Mehr Motivation, gesündere Mitarbeiter, zufriedene Chefs: Die obigen Praxisbeispiele der 4-Tage-Woche zeigen, wie es funktionieren kann, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen profitieren. Es gibt allerdings kein Patentrezept: Die Umstellung auf das neue Arbeitszeitmodell muss individuell abgestimmt werden, die Optimierungsprozesse sind in jedem Betrieb anders. Ein Probelauf zeigt meist schnell, ob die Mitarbeiter dahinterstehen und sich die gewünschten Effekte einstellen.

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Als pensionierter Leiter eines Forschungslabors und Sicherheitsbeauftragter mit mehr als 30 Jahren Berufserfahrung kennt Dr. Robert Kaufmann die alltäglichen Tücken und Herausforderungen aus dem Effeff. Mit seinen Tipps gelingt es […]