Die Krankenkassen schlagen Alarm! Laut dem BKK Gesundheitsreport 2018 sind Krankschreibungen aufgrund psychischer Erkrankungen um einem relativen Anteil von 16,6 Prozent gestiegen. Das bedeutet, dass jeder fünfte Arbeitnehmer wegen psychischen Leiden ausgefallen ist. Vor vier Jahrzehnten war nur jeder zwanzigste Beschäftigte aufgrund einer psychischen Erkrankung nicht arbeitsfähig.
Entwicklung und Verbreitung von psychischen Belastungen am Arbeitsplatz
Wer die statistische Auswertung der Krankenkasse näher betrachtet, wird sehr schnell feststellen, dass sich jede zweite Krankschreibung auf die Diagnosegruppe psychischer Erkrankungen nach ICD-Standard bezieht. Vor zwanzig Jahren hatte diese Gruppe noch so gut wie keine Bedeutung. Auch die Anzahl der Krankentage nahm zu.
So liegt laut BKK Gesundheitsreport die durchschnittliche Krankheitsdauer bei einer psychisch bedingten Arbeitsunfähigkeit bei 38,9 Tagen. Im Vergleich zu anderen Erkrankungen sind die Ausfallzeiten betroffener Arbeitnehmer damit dreimal höher. Experten vermuten die Ursachen für den starken Anstieg an psychischen Erkrankungen im zunehmenden Stress beim Arbeiten.
- Laut Zahlen der Deutschen Rentenversicherung aus 2018 sind rund 43 Prozent der aktuellen Frührentner aufgrund psychischer Erkrankungen im Ruhestand. Das Durchschnittsalter dieser Gruppe von Frührentnern liegt bei knapp 48 Jahren.
- Für die Volkswirtschaft sind diese Zahlen ebenfalls alarmierend. So betrugen allein die Krankheitskosten für seelische Erkrankungen laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2017 rund 44 Milliarden Euro.
- 2016 entstanden laut Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) allein durch den Anstieg der Krankheitskosten für psychisch bedingte Leiden die Produktionsausfallkosten auf 12,2 Milliarden Euro.
Was sind psychische Belastungen am Arbeitsplatz?
Die Arbeitswissenschaften verstehen unter psychischer Belastung am Arbeitsplatz alle Einflüsse, die von außen auf einen Menschen im Rahmen seiner Arbeit einwirken und dabei Einfluss auf seine Psyche nehmen können. Welche Faktoren das letztendlich sind, hängt von der Arbeitsumgebung und der Art der Arbeitsaufgabe/Tätigkeit ab.
Die BAUA definiert psychische Belastung als “die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken”.
- Zunächst ist die psychische Belastung im Gegensatz zur Belastung im privaten Bereich nicht negativ formuliert (“psychischen Belastungen” gemäß DIN EN ISO 10075).
- Ob psychische Belastungen negative oder positive Auswirkungen haben, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Wie stark und welcher Art die jeweilige Belastung ist, bestimmt die unmittelbaren sowie die langfristigen Folgen.
Was kann psychische Belastung am Arbeitsplatz auslösen?
Unternehmen und Gesundheitsexperten sind sich einig darin, dass die psychische Belastung im heutigen Arbeitsleben kontinuierlich und branchenübergreifend zunimmt. Tatsächlich muss die steigende Belastung nicht nur negative Folgen haben. Sie kann zum Beispiel in Lernfortschritten oder mehr Abwechslung beim Arbeiten münden.
Allerdings überwiegen meist die negativen Folgen, die auch als “Fehlbeanspruchungen” bezeichnet werden. Doch wo sind die Ursachen für diese Fehlbeanspruchungen zu finden? Meist handelt es sich dabei um ein unausgeglichenes Verhältnis zwischen negativer Beanspruchung und sogenannten “Ressourcen”, also ausgleichenden Faktoren. Überwiegen die Fehlbeanspruchungen bzw. gibt es nicht ausreichende Ressourcen, um diesen zu begegnen, steigt der negative Anteil der psychischen Belastung am Arbeitsplatz.
Mögliche Ursachen für psychische Belastungen
- steigender Zeitdruck
- Arbeitsverdichtung
- schnell wechselnde Organisationsstrukturen
- zunehmende Konkurrenz zwischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
- Mobbing
- fehlende materielle oder personelle Ressourcen
- unklare Aufgabenverteilung
- Überforderung
- Unterforderung (Boreout) usw.
Sonderfall: Mobbing als Ursache für psychische Belastungen
Mobbing führt zu einer sehr gravierenden negativen psychischen Belastung am Arbeitsplatz. Allgemein wird Mobbing als häufiges oder über einen längeren Zeitraum anhaltendes negatives kommunikatives Handeln bezeichnet. Es richtet sich überwiegend gegen eine Person und kann durch eine oder mehrere Personen erfolgen.
Die Ursachen für Mobbing liegen häufig in ungelösten Konflikten oder einer mangelhaften Kommunikation zwischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern oder Führungskräften. Undefinierte Verantwortlichkeiten oder ungerechtes Führungsverhalten können Mobbing ebenfalls begünstigen.
Im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung lässt sich herausfinden, welche präventive Maßnahmen gegen Mobbing getroffen werden können.
Wichtig ist es auf jeden Fall, bei einer Mobbing-Anzeige angemessen und zielführend auf den Vorfall bzw. die Vorfälle zu reagieren
Was sind die Folgen von psychischer Belastung?
Während zunächst zu vermuten wäre, dass psychischer Druck und Stress überwiegend Auswirkungen auf die Psyche haben und Krankheiten wie Depressionen oder Phänomene wie das Burnout hervorrufen, zeigt ein Blick auf die weiteren Folgen, dass psychische Belastung auch in hohem Maße die körperliche Gesundheit negativ beeinflussen kann.
In Folge psychischer Belastung steigt die Gefahr für Erkrankungen am Herz-Kreislaufsystem, für Diabetes, für chronische Rückenleiden, Demenz und Alzheimer an. Darüber hinaus erhöht psychischer Stress die Wahrscheinlichkeit von Arbeitsunfällen.
Die Folgen von psychischer Belastung lassen sich in kurzfristige sowie mittel- bis langfristige Folgen einteilen:
Kurzfristige Folgen | Mittel- bis langfristige Folgen |
Innere Anspannung, Gereiztheit, Angstgefühle, Wut und Ärger, Nervosität, Ermüdung, Sättigung | Unzufriedenheit, Depression, Schlafprobleme, psychosomatische Erkrankungen, Ängstlichkeit, Resignation, allgemeines Unwohlsein |
Sonderfall: Burnout als Folge psychischer Belastung
Es beschreibt einen andauernden Zustand emotionaler, geistiger und körperlicher Erschöpfung. Die Betroffenen leiden häufig unter Schlafstörungen und Antriebslosigkeit. Der psychische Druck führt schließlich zur Verringerung oder zum Verlust der Leistungsfähigkeit.
Allerdings handelt es sich bei einem Burnout nicht um eine medizinische Diagnose im eigentlichen Sinn, sondern es ist vielmehr ein Sammelbegriff für verschiedene Phänomene. Manche Forscher gehen auch davon aus, dass es sich bei einem Burnout um eine Art der Depression handelt. Ebenso kann ein Burnout aber auch eine Depression auslösen.
Das Burnout steht wie kaum ein anderes Phänomen für die Folgen der negativen psychischen Belastung am Arbeitsplatz. Aus diesem Grund spielt das Burnout sowohl bei der Prävention als auch bei der Gefährdungsbeurteilung eine wichtige Rolle.
Prävention: Wie kann einer psychischen Belastung vorgebeugt werden?
Büroangestellten sollte ermöglicht werden, mindestens 2 Stunden ihrer täglichen Arbeitszeit nicht im Sitzen zu verbringen. Der Arbeitsalltag sollte variieren zwischen Sitzen, Stehen oder Gehen. Noch besser wären 4 Stunden Bewegung während der Arbeit, schreibt das Team um John Buckey von der University of Chester in einer wissenschaftlichen Stellungnahme.
Um diese Verhalten beim Arbeitnehmer zu erzielen, sollten Arbeitgeber das passende Umfeld schaffen! Die folgenden Beispiele zeigen, wie sich mehr Bewegung und weiter präventive Maßnahmen in den Arbeitsalltag integrieren lässt.
Bewegung zur Vorbeugung von psychischen Belastungen
- Arbeitnehmer sollten sich in den Pausen bewegen und nicht am Arbeitsplatz essen, sondern die Möglichkeit haben, zum Beispiel in eine Abteilungsküche zu gehen.
- Es empfiehlt sich, dass der Arbeitsplatzdrucker so weit wie möglich außerhalb der Sitzreichweite der Arbeitnehmer aufgestellt wird. Auch möglich ist die Schaffung einer Kopierer-/Druckerinsel, zu der sich Arbeitnehmer begeben müssen, um einen Ausdruck zu holen.
- Individuell lassen sich sogar am Arbeitsplatz selbst Bewegungen einbauen. So können die Papierkörbe in die andere Ecke des Raums platzieren, um die Arbeitnehmer zur Bewegung zu animieren.
- Sitztrainer (z. B. Sitzballkissen) oder Pedalen, um die Muskulatur zu stimulieren und Verspannungen zu lösen, sind eine gute Möglichkeit, um Stress zu reduzieren.
- Konferenzräume, Küchen und Toiletten sollten auf eine andere Etage als die, auf denen sich die Arbeitsplätze befinden. Sofern dies baulich möglich ist.
- Aufzugsnutzung reduzieren: Zum Beispiel, indem der Aufzug so langsam eingestellt wird, dass ungeduldige Aufzugfahrer freiwillig die Treppe nehmen. Denkbar ist auch eine Betriebsregelung, dass die Mitarbeiter den Aufzug nur beim Transport schwerer Gegenstände oder bei einer Gehbehinderung benutzen dürfen.
- Es sollte eine Software eingesetzt werden, die den Arbeitnehmer dazu animiert, zu bestimmten Zeiten Bewegungsübungen zu absolvieren. Der Bildschirmschoner „Pauls Schreibtisch Übungen“ wurde speziell vom Bundesministerium für Gesundheit entwickelt. Dieser bietet 5 unterschiedliche Übungen, um etwas Bewegung in den Alltag zu integrieren!
- Auf einen Arbeitsplatztisch kann auch bei Bedarf ein Stehpult-Aufsatz gestellt werden. Dieser bietet zumindest die Möglichkeit des stehenden Arbeitens, ohne dass zu große Kosten entstehen.
- Ein höhenverstellbarer Tisch ist natürlich die beste Lösung. Den Tisch kann unter Umständen die Krankenkasse bei chronischen Schmerzen subventionieren.
Wertschätzende Kommunikation zur Förderungen der psychischen Gesundheit
- Psychische Belastungen entstehen oft, wenn der Mitarbeiter den Eindruck hat, dass er mit aktuell schwierigen Rahmenbedingungen allein gelassen wird. Deshalb: Die Belegschaft sollte regelmäßig darüber informiert werden (Aushang oder im Rahmen von Veranstaltungen), dass dieses Thema einen hohen Stellenwert im Unternehmen hat oder dass dabei etwas passiert.
- Auch die Einführung eines betrieblichen Vorschlagwesens – und vor allem der regelmäßige Hinweis darauf – führt fast automatisch dazu, dass Frust und innere Kündigung nicht aufkommen.
- Bewährt hat sich in diesem Zusammenhang auch die Installation des „Kummerkastens“. Dieser Briefkasten ist eine Möglichkeit, seine Beschwerden oder auch Beobachtungen mitzuteilen. Gleichzeitig wird das Signal gesetzt, dass das Feedback der Mitarbeiter gewünscht ist.
- Anerkennung ist das beste Mittel, um die Psyche am Arbeitsplatz positiv zu beeinflussen. Es ist ratsam dafür zu sorgen, dass es eine Kultur der gelebten Anerkennung in der Firma gibt, in dem z.B. regelmäßig Mitarbeiter vorgestellt und/oder ausgezeichnet werden, die sich besonders verdient haben.
- Viele belastende Faktoren entstehen dadurch, dass die Mitarbeiter untereinander zu wenig oder sehr einseitig kommunizieren. Die Zusammenarbeit sollte gefördert werden, indem Rahmenbedingungen geschaffen werden, die dazu führen, dass man sich zu Geburtstagen gegenseitig gratuliert, gemeinsame Ausflüge macht und die Möglichkeit erhält, sich mit den Mitarbeitern auch einmal privat auszutauschen.
- Eine gute Präventionsmaßnahmen vor allem bei psychischer Belastung im Handwerk, den Führungskräften sollte bewusst gemacht werden, dass der betriebliche Erfolg zwar wichtig ist, aber nicht über dem Menschen steht. Ein guter und arbeitnehmerorientierter Führungsstil ist das A und O.
- Kürzere Nachrichten im Intranet: Durch die Einführung sogenannter “EdN-Mails” müssen Mails nicht mehr geöffnet werden und die Belastung durch zu viele Mails pro Tag sinkt. Bei EdN-Mails wir die Nachricht direkt in die Betreffzeile geschrieben. Am Ende steht “EdN”, was “Ende der Nachricht” bedeutet.
Individual-Lösungen und mehr Flexibilität
- Maßnahmen zum Lärmschutz: In einem Unternehmen mit mehreren Großraumbüros war die Lärmbelastung zu hoch. Aus diesem Grund werden kleinere Abteilungen eingerichtet und mit Schallschutzfenstern ausgestattet. Als präventive Maßnahmen wird festgelegt, dass bei weiteren Umbauten insbesondere auf den Lärmschutz geachtet wird.
- Angebot von regelmäßigem Essen: Um Beschäftigten die Möglichkeit eines warmen Mittagessens zu schaffen, können Betriebe Kooperationen mit anderen Kantinen in der näheren Umgebung starten. Auf diese Weise haben Beschäftigte nicht nur die Gelegenheit, zu essen, sondern sie können sich auch mit Menschen aus anderen Abteilungen und Unternehmen austauschen.
- Spezielle Arbeitsräume: Um zu berücksichtigen, dass manche Beschäftigte für spezielle Arbeitsschritte eine besonders ruhige Arbeitsumgebung für eine bessere Konzentration benötigen, können Firmen zum Beispiel ein “stilles Büro” einrichten, in welchem Telefon und Handy tabu sind.
- Arbeitsorganisation: Durch die Einführung eines Drei-Schicht-Betriebs ist es möglich, dass Mitarbeiter sich je nach Schicht tagsüber auch um andere Dinge, Privates oder um Weiterbildungen kümmern können.
- Flexible Arbeitszeiten plus definierte Wochenarbeitszeit: Mit diesem Arbeitszeitmodell haben Beschäftigte die Möglichkeit, sich ihre Arbeitszeit innerhalb einer Arbeitswoche selbst einzuteilen. Auf diese Weise bleibt ihnen Zeit für dringende Arztbesuche, Hobbys oder für ihre Kinder. Der notwendige Rahmen wird mit einer verpflichtenden Wochenarbeitszeit gegeben.
- Videotelefonate: Um stressige Dienstreisen oder lange Fahrten zu vermeiden, können Unternehmen mit mehreren Standorten Videokonferenzen einführen. Dadurch erzielen Firmen nicht nur eine Reduktion der psychischen Belastung, sondern sie sparen zusätzlich Kosten und schonen die Umwelt.
- EAP: Größere Unternehmen setzen vermehrt auf sogenannte “Employee Assistance Programme”. Dabei handelt es sich um einen Beratungsservice, der Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei beruflichen oder auch privaten Problemen weiterhilft. Da die EAP von externen Unternehmen durchgeführt werden, sind diese objektiv und neutral.
Betriebliches Gesundheitsmanagement als Lösung gegen psychischen Belastungen am Arbeitsplatz
Sinnvolle und nachhaltige Prävention hat eine entscheidende Wirkung auf die psychische sowie physische Gesundheit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die Basis schaffen Unternehmen mit betrieblichem Gesundheitsmanagement (BGM). Es umfasst Maßnahmen und Methoden, um die Gesundheit aller Beteiligten im Betrieb zu verbessern und zu erhalten. Die Bandbreite an Möglichkeiten reicht von regelmäßigen Workshops und Seminaren bis hin zur Anschaffung von ergonomischem Mobiliar.