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Die Gefährdungsbeurteilung: Kernmaßnahme im Rahmen des Arbeitsschutzes

  • 31.01.2022
  • Redaktionsteam SafetyXperts
  • 16 Min.

Arbeitsunfall-Zahlen in Deutschland sind auf einem Rekord-Tief – ein erfreulicher Umstand, der vor alle durch eine professionelle Gefährdungsbeurteilung in verantwortungsbewussten Betrieben ermöglicht wird. Doch was verbirgt sich hinter diesem Begriff? Welche Pflichten für Arbeitgeber bringt die Gefährdungsbeurteilung im Rahmen des Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) mit sich? Was gilt es, bei der Umsetzung zu beachten? Die jüngsten gesetzlichen Regelungen zum Arbeitsschutz berücksichtigen Veränderungen in der sich digitalisierenden Arbeitswelt. Hier findet sich die Bandbreite der dringendsten Fragen zur Gefährdungsbeurteilung im Betrieb, von Gefahrgut bis Telearbeit, mit Einblicken in Mitarbeiter-Beteiligung und Präventiv-Maßnahmen.

Definition Gefährdungsbeurteilung

Hierbei handelt es sich um eine Bestandsaufnahme aller im Betrieb vorhandenen Gefährdungen. Ziel der Gefährdungsbeurteilung ist die Erhaltung der Sicherheit und Gesundheit der Mitarbeiter. Denn diese sind wesentliche Faktoren für den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens.

Es werden sämtliche Arbeitsprozesse, Arbeitsmittel und -bedingungen auf Herz und Nieren geprüft. Mit der Beurteilung soll herausgefunden werden, wie sicher diese sind und welche Risiken sie bergen. Das übergeordnete Ziel der Gefährdungsbeurteilung ist, die Arbeit im Unternehmen an allen Arbeitsplätzen so sicher wie möglich zu machen.

Die Gefährdungsbeurteilung bildet die Basis des betrieblichen Arbeitsschutzes. Dadurch kann der Arbeitgeber erkennen, welchen Gefährdungen die Mitarbeiter konkret ausgesetzt sind. Mit der Durchführung einer solchen Beurteilung, werden die Bedingungen des § 5 ArbSchG erfüllt.

Hier nennt der Gesetzgeber Punkte, aus denen sich für Mitarbeiter eine Gefährdung durch den Arbeitsplatz ergeben können. Diese sind zum Beispiel:

Wichtig: Die Gefährdungsbeurteilung von Arbeitsstätten ist keine einmalige Angelegenheit, sondern muss mit Blick auf den betrieblichen Arbeitsschutz in regelmäßigen Abständen erfolgen.

Wann muss die Gefährdungsbeurteilung erfolgen?

Um die Anforderungen des gesetzlich festgeschriebenen Arbeitsschutzes zu erfüllen, muss der Arbeitgeber die Gefährdungsbeurteilung vor der Aufnahme der Betriebstätigkeiten durchführen. In diesem Falle handelt es sich um eine Erstbeurteilung an allen Arbeitsplätzen. Darüber hinaus muss die Beurteilung beim Einrichten und Betreiben von ergänzenden Arbeitsstätten erfolgen. Der Arbeitgeber muss dafür sorgen, dass die Gefährdungsbeurteilung insbesondere vor der Verwendung der – stark branchenabhängigen - Arbeitsmittel innerhalb der Arbeitsstätte durchgeführt wird.

Häufigkeit der Gefährdungsbeurteilung

Arbeitgeber müssen dafür sorgen, dass die Gefährdungsbeurteilung stets aktualisiert wird. Dies wird notwendig, wenn:

Die Gefährdungsbeurteilung muss stets up to date sein - © industrieblick | Adobe Stock

Weitere Gründe, wann die Gefährdungsbeurteilung vom Arbeitgeber aktualisiert werden muss, liefert die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin ( BAuA).

Durchführung der Gefährdungsbeurteilung

Für Betriebe und Unternehmen gilt ein allgemeiner Grundsatz: Die Gefährdungsbeurteilung muss durchgeführt werden, bevor es zu einem Arbeitsunfall oder einem Störfall kommt. Bei der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung gibt es bestimmte Regeln, auf die zwingend geachtet werden muss. Dazu gehören folgende:

  • Arbeitgeber müssen sich ein Bild von den potenziellen Gefährdungen im Betrieb machen. Eine Gefährdungsbeurteilung auf Baustellen haben wohl eine andere Priorität als solche in Großraumbüros.
  • Die Struktur bei einer Gefährdungsbeurteilung ist elementar. Alle erkennbaren Gefahren und Gefährdungen müssen untersucht werden. Gefahrenquellen, die im Arbeitsschutzgesetz genannt werden, sind beispielsweise Arbeitsprozesse, Arbeitsabläufe und Arbeitszeiten.
  • Wenn eine Gefährdung des Arbeitsplatzes und der Arbeitsstätte erkannt wird, sollten Arbeitgeber überlegen, wie diese beseitigt werden können.
  • Die Gefährdungsbeurteilung muss für jeden Arbeitsplatz erfolgen. Sollten die Arbeitsstätten, die Arbeitsverfahren und die Arbeitsplätze exakt gleich sein, ist die Beurteilung eines Arbeitsplatzes und einer Tätigkeit ausreichend. Dies ist zum Beispiel in einem 2- oder 3-Personen-Büro der Fall.
  • Es gibt eine arbeitsplatzspezifische Gefährdungsbeurteilung. Diese muss bei nichtstationären Arbeitsplätzen erfolgen, aus denen sich besondere Gefährdungen ergeben.

Wer führt die Gefährdungsbeurteilung durch?

Die Verantwortung für die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung liegt klar beim Arbeitgeber. Der Gesetzgeber spezifiziert jedoch nicht, welche Personen befähigt sind, eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen. Hierzu kann der Arbeitgeber die Durchführung - unter seiner Aufsicht - delegieren. In der Praxis empfiehlt sich eine enge Zusammenarbeite mit der Fachkraft für Arbeitssicherheit, dem Brandschutzbeauftragten oder einem Betriebsarzt. Abhängig von Branche und Größe des Betriebs können externe Experten hinzugezogen werden.

Wie hoch ist der Umfang einer Gefährdungsbeurteilung?

Wie der Arbeitgeber die Gefährdungsbeurteilung durchzuführen hat, regelt das Arbeitsschutzgesetz nicht. Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) teilt auf ihrer Webseite mit, dass die Aufsichtspersonen der Unfallversicherungsträger den Arbeitgeber bei der Durchführung der Beurteilung beraten können.

Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung

Der Arbeitgeber ist verpflichtet, den gesamten Prozess der Gefährdungsbeurteilung zu dokumentieren. Die Dokumentation ist notwendig für:

  • die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung
  • die Kontrolle der Maßnahmen in Bezug auf den Arbeitsschutz
  • die Aufsichtsbehörden als Nachweis
  • die Überarbeitungen, wenn sich die Anforderungen an den betrieblichen Arbeitsschutz oder rechtliche Gegebenheiten ändern

Beschäftigte in die Gefährdungsbeurteilung mit einbeziehen

Wichtig ist, dass die Mitarbeiter des Betriebs, Unternehmens oder der Organisation in den gesamten Prozess der Gefährdungsbeurteilung mit einbezogen werden. Personal- und Betriebsräte haben ein Mitbestimmungsrecht. Wie die BAuA mitteilt, gilt das Mitbestimmungsrecht auch für die Auswahl der Durchführungs-Methode.

Mitarbeiter müssen in die Gefährdungsbeurteilung einbezogen werden - © Rido | Adobe Stock

Für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen und für die Vertreter der Beschäftigten gibt es Rechte und Pflichten. Dazu gehören unter anderem:

  • Teilnahme an der Befragung zur Gefährdungsbeurteilung sowie zur Benennung der Personen, die für die Durchführung der Beurteilung verantwortlich sind.
  • Den Arbeitgeber über potenzielle Gefahren am Arbeitsplatz und an der Arbeitsstätte informieren.
  • Meldung bei Änderungen am Arbeitsplatz
  • Recht auf Informationen über die Gefahren der Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz. Recht auf Informationen über die Maßnahmen, die zur Beseitigung der Gefahren ergriffen werden.
  • Aufforderung des Arbeitgebers, entsprechende Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit am Arbeitsplatz zu ergreifen.
  • Kooperation mit dem Arbeitgeber, damit er die Maßnahmen zeitnah und gründlich umsetzen kann.
  • Kooperation in Bezug auf die Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung.

Gefährdungsbeurteilung im Rahmen der Betriebssicherheitsverordnung

Im Zusammenhang mit der Gefährdungsbeurteilung spielt die Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) eine große Rolle. Die aktualisierte Fassung der Betriebssicherheitsverordnung befasst sich damit, die Arbeitsmittelsicherheit zu garantieren.

Arbeitsmittel sind in diesem Zusammenhang Werkzeuge, Maschinen, Geräte oder große technische Anlagen. Die überarbeitete Betriebssicherheitsverordnung von 2015 schreibt Arbeitgebern vor, dass die Arbeitsmittel erst auf Grundlage einer Gefährdungsbeurteilung verwendet werden dürfen. Arbeitgeber müsse die Sicherheit der Arbeitsmittel beurteilen – selbst dann, wenn es sich um ein Arbeitsmittel mit einem CE-Kennzeichen handelt.

Nur das CE-Kennzeichen reicht nicht aus

Es ist ein Irrglaube, dass die CE-Kennzeichnung allein ausreicht, um die Sicherheit von Werkzeugen und anderen Arbeitsmitteln zu garantieren. Im Sinne der Betriebssicherheitsverordnung ist die Sicherheit der Arbeitsmittel erst dann gegeben, wenn die mitgelieferte Technik positiv beurteilt wird. So urteilte auch das OLG Nürnberg (Az. 4 U 1706/12).

Mit seinem urteil stellt das Gericht klar, dass es sich bei einem CE-Zeichen lediglich um eine Eigenerklärung des Herstellers handle. Zudem sei es vielmehr ein Warenpass als ein Qualitätszeichen. Weder die Sicherheit noch die Qualität sei laut Auffassung des Gerichts dadurch gegeben.

Das Gericht forderte eine Gefährdungsbeurteilung vor der Aufnahme der Tätigkeit. Gegebenenfalls sollten Anpassungen an der Maschine vorgenommen sowie eine Betriebsanweisung erstellt werden. Nicht zuletzt forderte das OLG, Arbeitsmittel einer regelmäßigen Prüfung zu unterziehen.

Das OLG stellte mit dem Urteil zudem fest: Wenn die Arbeitsmittel durch eine Sicherheitsfachkraft überprüft werden, ist der Arbeitgeber nicht automatisch von seinen Pflichten und seiner Mithaftung befreit. Vor dem Hintergrund der Sicherheit bei der Verwendung von Arbeitsmitteln hat daher die Betriebssicherheitsverordnung einen bedeutenden Stellenwert im Unternehmen.

Gefahrstoffverordnung und Gefährdungsbeurteilungen

Besonderes Gewicht bekommt die Gefährdungsbeurteilung in Betrieben, in denen Mitarbeiter gefährlichen Stoffen ausgesetzt sind. Die Verordnung zum Schutz vor gefährlichen Soffen wird als Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) bezeichnet. Vor dem Hintergrund des Arbeitsschutzgesetztes regelt die Gefahrstoffverordnung die Schutzmaßnahmen für Beschäftigte bei Tätigkeiten mit diesen Gefahrstoffen.

Gefährdungsbeurteilungen sind bei dem Umgang mit Gefahrstoffen für die Sicherheit der Mitarbeiter essenziell - © antoine2k | Adobe Stock

Als solche werden Stoffe und Stoffgemische bezeichnet, die bestimmte physikalische oder chemische Eigenschaften besitzen. Diese Eigenschaften sind beispielsweise hochentzündlich, giftig, krebserzeugend oder ätzend. Die Verordnung zur Umsetzung der Richtlinie 2014/27/EU und zur Änderung von Arbeitsschutzbedingungen ist seit November 2016 in Kraft.

Laut § 6 Abs. 11 der GefStoffV darf die Gefährdungsbeurteilung ausschließlich von fachkundigen Personen vorgenommen werden. Sollte der Arbeitgeber nicht über eigene Fachkenntnisse verfügen, muss er sich beraten lassen. Als Fachkraft wird in der Verordnung der Betriebsarzt oder die Betriebsärztin angeführt. Diese können beispielsweise für die Arbeitssicherheit verantwortlich sein.

Darüber hinaus müssen bei der Gefährdungsbeurteilung mit Gefahrstoffen Tätigkeiten berücksichtigt werden, bei denen auch nach Ausschöpfung sämtlicher technischer Schutzmaßnahmen die Möglichkeit einer Gefährdung besteht. Laut Gefahrstoffverordnung gilt dies speziell für Instandhaltungs- und Wartungsarbeiten. Zusätzlich müssen Tätigkeiten, wie beispielsweise Bedien- und Überwachungsarbeiten berücksichtigt werden, wenn diese zu einer Gefährdung von Beschäftigten durch Gefahrstoffe führen können.

Gefährdungsbeurteilung als Säule des Gefahrstoffmanagements

Bei der Festlegung der geeigneten Schutzmaßnahmen kann der Arbeitgeber zudem eine Gefährdungsbeurteilung übernehmen, die ihm der Lieferant mitgeliefert hat. Die Angaben und Festlegungen dieser Gefährdungsbeurteilung müssen allerdings den Arbeitsverfahren und Bedingungen des Betriebs entsprechen. Dies gilt auch für die verwendeten Arbeitsmittel sowie für die Gefahrstoffmenge.

Wie bereits erwähnt, muss die Gefährdungsbeurteilung vom Arbeitgeber dokumentiert werden. Laut GefStoffV können für die Dokumentation auch vorhandene Gefährdungsbeurteilungen, Dokumente oder andere gleichwertige Berichte verwendet werden, die aufgrund von rechtlichen Vorschriften und Verpflichtungen entstanden sind.

In den Vorschriften heißt es außerdem, dass die Gefährdungen durch gefährliche explosionsfähige Gemische besonders auszuweisen sind. In diesem Fall wird von einem Explosionsschutzdokument gesprochen. Unter anderem muss daraus hervorgehen, dass die Explosionsgefährdungen ermittelt und einer Bewertung unterzogen wurden. Weitere Punkte, die in dem Explosionsdokument stehen müssen, sind unter § 9 GefStoffV gelistet.

Die Gefährdungsbeurteilung als Bestandteil des Gefahrstoffmanagements ist unerlässlich, da die physischen Belastungen am Arbeitsplatz für die Beschäftigten in diesen Bereichen höher sind.

Die neue Arbeitsstättenverordnung: Gefährdungsbeurteilung fürs Home-Office

Dass immer mehr Mitarbeiter zum Teil von zuhause arbeiten, verändert die Bedingungen einer Gefährdungsbeurteilung aller Arbeitsplätze. Dazu gehört auch die Gefährdungsbeurteilung bei Telearbeit. Mit der Aktualisierung der Arbeitsstättenverordnung ist der notwendige erste Schritt für eine rechtliche Regelung der Verantwortlichkeiten für Arbeitssicherheit im Home-Office getan.

Wichtig zum Verständnis ist, dass die Telearbeitsplätze zwar in die Arbeitsstättenverordnung aufgenommen werden, aber mit der Einschränkung, dass nur 2 Paragraphen der Verordnung auf sie angewandt werden:

  • „§ 3 bei der erstmaligen Beurteilung der Arbeitsbedingungen und des Arbeitsplatzes“, dies bezieht sich auf die Notwendigkeit einer Gefährdungsbeurteilung.
  • „§ 6 und der Anhang Nummer 6“, dies bezieht sich auf die Notwendigkeit einer Unterweisung und Maßnahmen zur Gestaltung von Bildschirmarbeitsplätzen.
  • „soweit der Arbeitsplatz von dem im Betrieb abweicht“, das bedeutet: Wenn die Arbeitsbedingungen an einem Bildschirm zuhause denen im Betrieb entsprechen, ist keine erneute Gefährdungsbeurteilung erforderlich.

Wie exakt ein Monitorarbeitsplatz zuhause dem Arbeitsplatz des Mitarbeiters im Büro entsprechen muss, bleibt offen. Man kann davon ausgehen, dass hier vernünftiges Ermessen und das persönliche Gespür der betrieblichen Arbeitsschützer gefragt sind.

Auch für das Home Office ist eine Gefährdungsbeurteilung sinnvoll - © Halfpoint | Adobe Stock

Letztlich kommt es nicht nur auf die ergonomische Ausstattung, sondern auch auf die richtige Einstellung und Benutzung von Mobiliar und Arbeitsmitteln durch den Mitarbeiter im Home-Office an. Hier unterscheidet die ArbStättV zwischen Telearbeit und mobilem Arbeiten, was sich auch auf die Gefährdungsbeurteilung der Bildschirmarbeitsplätze auswirkt.

Wichtig für Arbeitssicherheits-Fachkräfte: Die zuvor viel diskutierte Forderung nach einer regelmäßigen Prüfung aller Home-Office-Arbeitsplätze wurde aus dem ursprünglichen Entwurf der Arbeitsstättenverordnung gestrichen. Nun gilt: Der Arbeitgeber ist dafür verantwortlich, dass für Home-Office-Arbeitsplätze eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt wird, und zwar

  • (nur) bei der erstmaligen Einrichtung des Arbeitsplatzes.
  • bevor ein Mitarbeiter erstmalig von zuhause arbeitet.

Ausnahme – Kann die Gefährdungsbeurteilung im Home-Office entfallen?

Die Prüfpflicht des Arbeitgebers bzw. die Gefährdungsbeurteilung ist nicht zwingend, wenn ein Mitarbeiter nur gelegentlich von zuhause arbeitet. Das heißt: Die Fachkraft für Arbeitssicherheit (oder wer die Gefährdungsbeurteilung durchführt) muss nicht bei jedem Mitarbeiter in der Privatwohnung vorbeischauen und checken, wie Ergonomie-freundlich dieser nach Feierabend am Küchentisch per Notebook dienstliche Mails checkt.

Ab welcher Nutzungsfrequenz im Detail die Überprüfung von Telearbeitsplätzen rechtlich Pflicht wird, ist noch nicht abzusehen. Unbedingt anzuraten ist, etwaige Kontrollbesuche von Mitarbeiten an Telearbeitsplätzen zu protokollieren.

Wenn jeweils der Befund mit Ort und Datum festgehalten wird, die wichtigsten Sicherheitsregeln und Schutzmaßnahmen notiert sind und dies vom Mitarbeiter unterschrieben wird, erhöht sich die Rechtssicherheit des Arbeitgebers. Es dürfte kaum zumutbar sein, bei jedem Mitarbeiter permanent zu prüfen, ob er seinen Monitor korrekt positioniert hat oder bei ausreichend Tageslicht arbeitet.

Doch wenn Mitarbeiter an Telearbeitsplätzen über Gesundheitsbeschwerden klagen oder ausfallen, können Sie den Arbeitsplatz zuhause nicht länger bei der Ursachensuche – und damit bei der Gefährdungsbeurteilung - ausklammern.

Erneut gefordert: Die Gefährdungsbeurteilung „Psyche“

In einem neu eingefügten Satz (s.u.) der novellierten Arbeitsstättenverordnung bestätigt der Gesetzgeber, was zuletzt bereits in anderen Rechtsvorschriften umgesetzt wurde: Das Beurteilen von Gefährdungen soll neben den physischen auch die psychischen Belastungen umfassen.

Neu in § 3 Arbeitsstättenverordnung:

„Bei der Gefährdungsbeurteilung hat er die physischen und psychischen Belastungen sowie bei Bildschirmarbeitsplätzen insbesondere die Belastungen der Augen oder die Gefährdung des Sehvermögens der Beschäftigten zu berücksichtigen.“

Ebenso bemerkenswert ist der zweite Teil des neuen Satzes. Arbeitsschützer sind damit angehalten, bei der Gefährdungsbeurteilung von Bildschirmarbeitsplätzen explizit die Belastungen der Augen und Gefährdungen des Sehvermögens zu beachten. Das heißt: Eine rein ergonomisch-technische Betrachtung genügt nicht. Augenbeschwerden soll nachgegangen werden, hier lohnt es sich, einen Betriebsarzt einzubeziehen, um Risiken für die Sehfähigkeiten von Mitarbeitern zu ermitteln und zu beseitigen.

Was aus der Forderung nach „ausreichend Tageslicht“ und „Sichtverbindung nach außen“ wurde

Der direkte Zugang zu Tageslicht ist elementar für das menschliche Wohlbefinden und damit den Erhalt der psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz. Wie sich dieses Wissen in der aktualisierten Arbeitsstättenverordnung niederschlägt, konkretisiert der Gesetzgeber in folgender Vorschrift:

In Sachen „Sichtverbindung nach außen“ gilt künftig:

  • Dauerhaft eingerichtete Arbeitsplätze müssen eine Sichtverbindung nach außen haben.
  • Das Gleiche gilt mit der Einschränkung „möglichst“ für Sozialräume wie Pausen- und Bereitschaftsräumen, Unterkünfte und Kantinen.
  • Bei einem Arbeitsplatz oder Arbeitsraum, an dem sich ein Mitarbeiter nur vorübergehend für kurze Zeit aufhält, kann auf Tageslicht verzichtet werden.

Bedeutung der „Sonnenlicht-Klausel“ für die Praxis

In Betriebsräumen ohne feste Arbeitsplätze, in denen sich Mitarbeiter nur kurz aufhalten und in denen nicht ständig gearbeitet wird, gilt Verhältnismäßigkeit. Baumaßnahmen zu ergreifen für Teeküche und Kopierer ist nicht notwendig. Bei den klassischen Sozialräumen es jedoch gute Gründe geben, wenn dort kein Tageslicht ermöglicht wird.

Ebenfalls kann von Tageslicht und einer Sichtverbindung nach außen abgesehen werden, „wenn die tatsächlichen Gegebenheiten eine Sichtverbindung nach außen faktisch nicht oder nur mit unvertretbaren Kosten“ umsetzbar sind Darunter fällt eine ganze Reihe von Gebäudetypen wie Bahnhöfe, Flughäfen, Einkaufszentren, Sportstadien, Tiefgaragen usw. Auch für Lagerhallen oder mehrstöckige Produktionsanlagen werden Tageslichtfenster nicht verpflichtend.

Neben dieser Liste von Ausnahmen gibt es einen Bestandsschutz für bestehende Gebäude. Räume, die bereits vor Inkrafttreten der neuen Arbeitsstättenverordnung ohne eine Sichtverbindung nach außen bestanden, dürfen bis zu einer „wesentlichen Erweiterung oder einem wesentlichen Umbau“ weiter betrieben werden. Bei Neuplanungen von Betriebsgebäuden, die nicht unter die genannten Ausnahmen fallen, sollten der Auftraggeber Planer und Architekten jedoch frühzeitig darauf hinweisen, dass ein striktes Einhalten der ASR gewünscht wird. Denn wie bisher wird auch künftig gelten:

  • Natürliches Tageslicht ist in als präventive Maßnahme Teil der psychischen Arbeitssicherheits-Vorkehrungen und einer künstlichen Lichtquelle vorziehen.
  • Wo immer möglich und zumutbar, sollten Sichtverbindungen ins Freie geschaffen werden.

Gefährdungsbeurteilung konkret durchführen - Die ArbStättV

Das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) kommt nicht nur in der Gefährdungsbeurteilung zur Anwendung. Weitere Verordnungen schaffen den Rahmen für das Gewährleisten und Aufrechterhalten von Gesundheitsschutz und die Sicherheit in den verschiedenen Arbeitsumgebungen. Das bekannteste Beispiel ist die Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV). In ihr kommen zahlreiche der oben bereits genannten Punkte zum Tragen.

Die korrekte Durchführung der Gefährdungsbeurteilung ist wichtig - © luckybusiness | Adobe Stock

Worauf muss ein Betrieb achten, wenn er eine Beurteilung nach der ArbStättV durchführt?

Wird bei einer Kontrolle eine unvollständige oder fehlerhafte Gefährdungsbeurteilung vorgelegt, kann das ein Bußgeld von bis zu 3.000 € zur Folge haben. Damit bei der Erfüllung dieser Pflicht kein Detail vergessen und ein Bußgeld vermieden wird, hat der Ausschuss für Arbeitsstätten eine Technische Regel aufgestellt, in der alles Wesentliche gut strukturiert beschrieben ist.

Die Gefährdungsbeurteilung nach ASR V3

Die neue Technische Regel für Arbeitsstätten (ASR) V3 bietet Hilfestellung bei der erstmaligen Beurteilung der Arbeitsstätte inklusive der Telearbeitsplätze. Im Fokus stehen das Errichten und Betreiben der Arbeitsstätte.

Betrachtet werden beispielsweise

  • bauliche Maßnahmen oder Veränderungen, insbesondere Neu- und Umbau sowie Erweiterungsmaßnahmen,
  • das Anlegen und Kennzeichnen von Verkehrs- und Fluchtwegen, Kennzeichnen von Gefahrenstellen und brandschutztechnischen Ausrüstungen,
  • das Festlegen von Arbeitsplätzen unter Berücksichtigung der geplanten Tätigkeiten,
  • das Benutzen, Instandhalten und Optimieren der Arbeitsstätte sowie
  • die Organisation und die Gestaltung von Arbeits- und Fertigungsverfahren und Arbeitsabläufen.

Praxistipp: 8 Prozessschritte für die Gefährdungsbeurteilung

Unter Punkt 5 der ASR V3 finden Sie eine Schritt-für-Schritt-Anleitung für die Erstellung der Gefährdungsbeurteilung. Die einzelnen Prozessschritte können anhand der nachfolgenden Abbildung detailliert nachvollzogen werden.

Schritt 1: Vorbereiten

Gliedern Sie die Arbeitsstätte in Arbeitsbereiche oder Tätigkeitsgruppen. Berücksichtigen Sie auch Tätigkeiten, die nicht so häufig (z.B. jährlich) anfallen.

Schritt 2: Ermitteln von Gefährdungen

Prüfen Sie, wodurch es in der Arbeitsstätte zu einer gesundheitlichen Gefährdung kommen kann. Hier spielen Gefährdungsfaktoren wie z. B. mechanische, elektrische oder thermische Gefährdungen eine Rolle. In der Arbeitsstätte besteht auch die Möglichkeit von Gesundheitsschäden durch Gefahrstoffe. Diese können beispielsweise aufgrund von Innenraumluftverunreinigungen durch

  • schadstoffbelastete Einrichtungsgegenstände, z. B. Formaldehyd oder andere Aldehyde
  • Holzschutzmittel
  • organische Lösemittel (VOC)
  • Passivrauchen am Arbeitsplatz verursacht werden.

Schritt 3: Beurteilen der Gefährdungen

Vergleichen Sie den vorliegenden Planungs- oder Ist-Zustand mit den ermittelten Gefährdungen. Nutzen Sie Beurteilungsmaßstäbe, wie sie beispielsweise in anderen Technischen Regeln festgelegt sind. So können Sie z.B. anhand der ASR A1.3 prüfen, ob die Sicherheitskennzeichnung in Bezug auf die Abmessungen und die dargestellten Symbole den dort genannten Vorgaben entspricht.

Schritt 4: Festlegen von Maßnahmen

Halten Sie bei der Auswahl von Maßnahmen die folgende Maßnahmenhierarchie ein:

Reduzieren oder beseitigen Sie die Gefährdung

  1. an der Quelle,
  2. durch technische Maßnahmen,
  3. durch organisatorische Maßnahmen.
  4. Wenn diese Maßnahmen nicht ausreichend wirksam sind
  5. nutzen Sie Persönliche Schutzausrüstungen und
  6. qualifizieren Sie Ihre Mitarbeiter durch Schulung und Unterweisung.

Schritt 5: Umsetzen von Maßnahmen

Erstellen Sie einen Ablaufplan, in welchem beispielsweise Termine, Übergangsmaßnahmen und Verantwortlichkeiten genannt sind.

Schritt 6: Überprüfen der Wirksamkeit der Maßnahmen

Kontrollieren Sie, ob die beschlossenen Maßnahmen vollständig umgesetzt wurden und dazu geführt haben, die Gefährdung zu beseitigen bzw. ausreichend zu reduzieren.

Schritt 7: Dokumentation

Die Dokumentation dient als Grundlage für die Gestaltung und Planung der betrieblichen Prozesse wie Modernisierungen, Betriebsanweisungen oder Unterweisungen. Sie kann in Papierform oder elektronischer Form vorliegen.

Schritt 8: Fortschreiben

Prüfen Sie die Gefährdungsbeurteilung kontinuierlich. Achten Sie darauf, dass immer zweifelsfrei erkennbar ist, welche Version den aktuellen Stand wiedergibt.

13 ASR wurden aktualisiert

Infolge der geänderten ArbStättV wurden bei folgenden ASR redaktionelle Änderungen durchgeführt und am 5.7.2017 im Gemeinsamen Ministerialblatt verkündet:

  • ASR A1.2 „Raumabmessungen und Bewegungsflächen“
  • ASR A1.3 „Sicherheits- und Gesundheitsschutzkennzeichnung“
  • ASR A1.5/1,2 „Fußböden“
  • ASR A1.6 „Fenster, Oberlichter, lichtdurchlässige Wände“
  • ASR A1.7 „Türen und Tore“
  • ASR A2.1 „Schutz vor Absturz und herabfallenden Gegenständen, Betreten von Gefahrenbereichen“
  • ASR V3a.2 „Barrierefreie Gestaltung von Arbeitsstätten“
  • ASR A3.4/3 „Sicherheitsbeleuchtung, optische Sicherheitsleitsysteme“
  • ASR A3.5 „Raumtemperatur“
  • ASR A4.1 „Sanitärräume“
  • ASR A4.2 „Pausen- und Bereitschaftsräume“
  • ASR A4.3 „Erste-Hilfe-Räume, Mittel und Einrichtungen zur Ersten Hilfe“
  • ASR A4.4 „Unterkünfte“

Der Gefährdungsbeurteilung ASR V3 sollte somit in Ihrem Betrieb spätestens jetzt Beachtung finden und in die Gefährdungsbeurteilung einbezogen werden.

Fazit

Arbeit ist hierzulande durch das Arbeitsschutzgesetz bis ins kleinste Detail geregelt. Verschiedene Arbeitsschutzmaßnahmen sollen die Arbeit im allgemeinen und die Arbeitsstätten und Arbeitsplätze im speziellen sicherer machen. Die Erhaltung und die Förderung der Gesundheit der Beschäftigten eines Betriebs sind die obersten Pflichten des Arbeitgebers.

Die Gefährdungsbeurteilung ist eine der Arbeitsschutzmaßnahmen, die vom Arbeitgeber getroffen werden müssen. Das primäre Ziel dieser Beurteilung ist es, die Arbeit gesundheitserhaltend zu gestalten und die unterschiedlichen Belastungen für die Beschäftigten auf ein Minimum zu reduzieren. Der Arbeitgeber hat dafür zu sorgen, dass die Gefährdungsbeurteilung vor dem Einrichten des Arbeitsplatzes vorgenommen wird.

Wie Arbeitgeber konkret die Beurteilung durchführt, bleibt ihm dabei überlassen. Hilfestellung bieten die Verordnungen des Gesetzgebers und Experten der verschiedenen Unfallversicherungsträger. Diese sind bei der Beurteilung behilflich. Neben den Pflichten des Arbeitgebers haben auch Arbeitnehmer Pflichten, die sie im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung erfüllen müssen. Dazu gehören unter anderem die Teilnahme an Befragungen und die Pflicht zur Anzeige, wenn sich etwas am Arbeitsplatz ändert.

Es gibt Arbeit und Arbeitsbereiche, die ein hohes Risiko an Arbeitsunfällen bergen. Durch die Gefährdungsbeurteilungen und durch die verbesserte Aufklärung der Mitarbeiter konnte die Unfallquote in den vergangenen Jahren deutlich gesenkt werden. Dies belegen nicht zuletzt aktuelle Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Arbeit in Deutschland hat aufgrund der zahlreichen Bestimmungen einen hohen Sicherheits-Standard innerhalb der EU erreicht. Modifikationen der einzelnen Verordnungen berücksichtigen dabei zeitgemäße Entwicklungen wie Telearbeit und psychische Gesundheit der Mitarbeiter.

Damit ist die Gefährdungsbeurteilung eine der mächtigsten Maßnahmen, um Arbeitsschutz zu garantieren, präventiv Risiken zu erkennen und Mitarbeiter zuverlässig zu schützen.

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